Die Sehnsucht nach Liebe, Verbundenheit und zwischenmenschlichen Beziehungen ist tief in unserer Natur verankert und wird von fast allen Menschen empfunden. Grundsätzlich dienen romantische Beziehungen der Unterstützung, Freude, Sicherheit und der Befriedigung von Bedürfnissen nach Intimität. Dabei sind auch Streit und kompliziertere Phasen in jeder Beziehung normal und sogar gesund für die Entwicklung einer Partnerschaft. Doch wo hören normale Konflikte und Krisenzustände auf und wo fangen toxische Beziehungen an?
Nach einer Umfrage im Auftrag der Online-Partnervermittlung Parship, welche im Januar 2021 durchgeführt wurde, waren rund 36 Prozent der Befragten bereits in einer toxischen Beziehung gewesen.
Dieser Beitrag soll Ihnen helfen zu erkennen, ob Sie oder eine nahestehende Person sich in einer solch schädlichen Partnerschaft befinden.
Dabei möchten wir vorerst einen Blick auf unsere Beziehungsmuster aus der Kindheit und unsere daraus entstehenden Bindungsstile werfen. Dies soll helfen, besser zu verstehen, wieso manche Menschen dazu tendieren, sich in Partnerschaften zu begeben, die einseitig oder übermäßig mühsam sind. Anschließend werden dann typische Merkmale von toxischen Beziehungen umrissen. Wichtig zu erwähnen ist es aber schon vorweg, dass Verständnis und Einsicht der erste Schritt zu einer gesünderen, erfüllteren Zukunft sind.
Die Kindheit prägt unsere Beziehungsmuster:
Die Beziehungserfahrungen, welche wir in der Kindheit machen, beeinflussen maßgeblich, in
welchen Beziehungen wir uns im Erwachsenenalter wiederfinden und welche romantischen
Partner und Partnerinnen wir auswählen. Wenn jemand in einer liebevollen und
unterstützenden Umgebung aufgewachsen ist, neigt diese Person auch eher dazu,
zuverlässige, kommunikative, ausgeglichene Beziehungen aufzubauen. Wenn unsere
Kindheit jedoch von Konflikten, Vernachlässigung oder Missbrauch geprägt war, können wir
eine Tendenz zu Beziehungsmustern entwickeln, die voller Konflikt, Missbrauch und
Schmerz sind – toxische Beziehungen.
Bindungsstile nach Bowlby:
Um unser unterschiedliches Bindungsverhalten zu beschreiben, identifizierte der berühmte Entwicklungspsychologe John Bowlby vier Hauptbindungsstile.
Sicherer Bindungsstil: Menschen mit diesem Bindungsstil fühlen sich in Beziehungen wohl und können Nähe zulassen, ohne Ängste vor Verlassenwerden oder Abhängigkeit zu entwickeln.
Ängstlich-vermeidender Bindungsstil: Diese Personen fürchten in Beziehungen den Selbstverlust und die Verletzung ihrer Grenzen. Sie haben oft Angst vor Ablehnung und empfinden es als schwierig, Nähe und emotionale Intimität zuzulassen. So neigen sie dazu, ihre Unabhängigkeit zu betonen und Gefühle zu unterdrücken. Dies kann zu einem ausgeprägten Rückzugsverhalten oder sogar einer (unbewussten oder bewussten) Sabotage der Beziehung und von Auseinandersetzungen führen.
Ängstlich-ambivalenter Bindungsstil: Menschen mit diesem Stil suchen oft nach intensiver Nähe, haben jedoch gleichzeitig Angst vor Ablehnung. Häufig passen sie sich dadurch ihrem Partner oder ihrer Partnerin an, nehmen viel Schuld auf sich. Es kann dazu kommen, dass sie eine Trennung mit allen Mitteln vermeiden wollen, gleichzeitig aber ständig nach Konflikt und Problemen in der Beziehung suchen. Häufig kommt es zu einer Art emotionaler Achterbahn in Beziehungen, da sie ständig zwischen Gefühlen von Verlustangst und von Bindungsangst pendeln.
Desorganisierter Bindungsstil: Menschen mit diesem Stil haben Schwierigkeiten, Vertrauen aufzubauen und können in Beziehungen inkonsistentes, unvorhersehbares und manchmal verwirrendem Verhalten neigen. Zudem haben Personen mit einem desorganisierten Bindungsstil oft Probleme, ihre Gefühle zu regulieren. Häufig entwickelt sich dieser Bindungsstil, wenn Menschen traumatische Erfahrungen in der Kindheit durchlebt haben.
Dabei sind die zuvor beschriebenen Bindungsstile kein verurteilender Indikator dafür, ob wir eine toxische Beziehung führen werden oder nicht. Es ist zwar wissenschaftlich erwiesen, dass Menschen mit einem sicheren Bindungsstil weniger zu Beziehungsproblemen neigen als Personen mit den restlichen Bindungsstilen, grundsätzlich kann jedoch jede Person mal in eine toxische Beziehung geraten.
Gleichzeitig ist es auch möglich, eine gesunde, heilende Beziehung zu führen, wenn man schlechte Beziehungserfahrungen in der Kindheit gemacht hat. In manchen Fällen kann es dafür aber etwas Arbeit und Unterstützung brauchen. Dabei können uns die Bindungsstile nach Bowlby helfen, unser Verhalten in romantischen Beziehungen besser nachvollziehen zu können und zu verstehen, ob und warum wir uns in einer toxischen Beziehung befinden.
Wie erkennt man eine toxische Beziehung?:
Sogenannte toxische Beziehungen sind oft durch wiederkehrenden Konflikt, Missbrauch, Manipulation oder Vernachlässigung geprägt. Im Nachfolgenden sind einige Anzeichen aufgelistet, die darauf hinweisen, dass Sie oder eine nahestehende Person sich in einer toxischen Beziehung befinden könnten.
Fehlendes Sicherheitsgefühl: Vielleicht fällt es Ihnen schwer, sich in Ihrer Beziehung sicher zu fühlen, da sich das allgemeine Klima der Partnerschaft ständig verändert. Möglicherweise folgen auf große, übersteigerte Liebesgesten Erniedrigungen und Trennungsdrohungen. Starke Auseinandersetzungen oder Streitigkeiten treten wiederkehrend und ständig auf, wobei selten Lösungen gesucht werden. Wenn diese Merkmale auf Ihre Beziehung zutreffen, ist es gut möglich, dass Sie sich in einer toxischen Beziehung befinden.
Emotionale Manipulation: Vielleicht ist Ihr Partner oder Ihre Partnerin sehr eifersüchtig, möchte ständig wissen, wo Sie sind, Zugriff auf Ihre privaten Daten (zum Beispiel Handy, Tagebuch) haben oder schreibt Ihnen eine gewisse Verhaltensweise vor. Eine weitere Form der emotionalen Manipulation ist das sogenannte “Gaslighting”, bei dem die Gefühle eines Partners oder Partnerin ständig abgesprochen, uminterpretiert oder als “verrückt” dargestellt werden. Versucht die Person, mit der Sie eine Beziehung führen, Sie zu kontrollieren, zu manipulieren oder Ihre Gefühle zu invalidieren, ist dies eindeutig ein Warnsignal.
Isolation: In toxischen Beziehungen werden oft soziale Kontakte durch den Partner oder die Partnerin eingeschränkt oder kontrolliert. Sie könnten sich isoliert und von Freunden, Freundinnen und Familienmitgliedern entfremdet fühlen.
Ständige Kritik: Sind Sie in Ihrer Beziehung ständiger Kritik und Abwertung ausgesetzt? In toxischen Beziehungen kann eine solche übermäßig oft und stark stattfindende Kritik oft durch vermeintlich gute Absichten getarnt werden. Dabei will sich die kritikausübende Person häufig als klüger und stärker präsentieren, wobei der andere Partner oder die andere Partnerin erheblich an Selbstachtung und Selbstbewusstsein verlieren.
Gefühl der Hilflosigkeit: In toxischen Beziehungen fühlen sich viele Betroffene gefangen und hilflos. Haben Sie Angst, die Beziehung zu verlassen, Kritik zu äußern oder erhebliche Veränderungen vorzunehmen? Dann kann dies für eine toxische Beziehung sprechen.
Falls Sie eines oder mehrere dieser Anzeichen in Ihrer Beziehung wiedererkennen, ist es möglicherweise an der Zeit, darüber nachzudenken, wie Sie sich und Ihre Bedürfnisse schützen können. Eine toxische Beziehung kann schwer zu überwinden sein, aber es gibt Hilfe. Psychotherapie und professionelle Unterstützung können Ihnen helfen, Ihre Beziehungsmuster zu verstehen, gesündere Grenzen zu setzen und den Mut zu finden, eine toxische Beziehung zu verlassen, wenn dies notwendig ist.
Ihre Unversehrtheit und Ihre emotionale Gesundheit sind es wert.
Hier finden Sie Hilfe:
Berliner Krisendienst Spandau: 030 390 63-30
Berliner Krisendienst Charlottenburg-Wilmersdorf: 030 390 63-20
TelefonSeelsorge: 0800 1110111
BIG Hotline – Hilfe bei häuslicher Gewalt gegen Frauen und ihre Kinder: (030) 611 03 00
Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche
Aufgaben: 08000 116 016.